Rudolf Smend

Gründungsleiter des Kirchenrechtlichen Instituts der EKD

Rudolf Smend (15.1.1882 – 5.7.1975) war ein herausragender Lehrer des öffentlichen und des Kirchenrechts an den Universitäten Greifswald (1909), Tübingen (1911), Bonn (1915), Berlin (1922) und nach unfreiwilliger Versetzung in Göttingen (1935). Nach historischen Arbeiten widmete er sich dem öffentlichen Recht in einem schmalen, ungewöhnliche Beachtung findenden Oeuvre.

Die Bedeutung seiner Arbeiten liegt weniger im Einzelergebnis als in seinem grundsätzlichen Beitrag zur Überwindung des staatsrechtlichen Positivismus zu Gunsten einer neuen materialen verfassungsrechtlichen Betrachtungsweise. Nicht zuletzt ihm ist die Reintegration des Verfassungsrechts in den Gesamtzusammenhang der Geistes- und Sozialwissenschaften zu verdanken.

Diesem Programm war die mit seinem Namen verbundene Integrationslehre gewidmet. Mit der schmalen Schrift über „Verfassung und Verfassungsrecht“ (1928) erreichte er die breiteste Wirkung. Nach eigenem Zeugnis ging es ihm darum, den eigentlichen Sinn der Verfassung zu bestimmen. Dabei verstand er den Staat als lebendige geistige Wirklichkeit. Er gewinnt in einem meist unbewußten Lebensvorgang Gestalt. An Stelle der statisch substantiellen Auffassung trat damit eine dynamisch-funktionelle. Diesen Vorgang nannte Smend Integration. Mit der Herausstellung der staatlichen Integration als Wesenskern des Begriffs des Politischen leistete Smend einen entscheidenden Beitrag zur geistesgeschichtlichen Wende der zwanziger Jahre.

Ungewöhnlich war auch die Wirkung seines Münchener Vortrags vor der Staatsrechtslehrervereinigung (1928). Von der integrierenden Funktion der Grundrechte aus qualifizierte er die Bestimmungen der Allgemeinheit der Schrankengesetze als Abwägung zwischen den jeweils zu schützenden Werten. Ein Markstein in der Geschichte der Staatsrechtswissenschaft. In der Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 5 II GG hat diese Abwägungsmethode seit dem „Lüth-Urteil“ (BVerfGE 7, 198 ff.) einen festen Platz gefunden. Die Bedeutung des Verständnisses der Grundrechte als einer Wertordnung ist heute so selbstverständlich, dass die Autorenschaft Smends darüber vergessen wird.

Seit 1918 wirkte Smend in zahlreichen kirchlichen Gremien, zuletzt im Rat der EKD. Als Mitglied des Rates hat er die „Stuttgarter Schulderklärung“ vom 19. Oktober 1945 mit unterzeichnet, deren Bedeutung für die Wiederaufnahme Deutschlands in den Kreis der anderen Völker heute unterschätzt wird.

Auf seine Initiative gründete der Rat der EKD das Kirchenrechtliche Institut, das Smend bis 1969 leitete. Er begründete die Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht, deren maßgeblicher Herausgeber er bis zum 14. Bande war. Er war ein gesuchter Gutachter in kirchenrechtlichen Fragen. Breiteste Wirkung erzielte sein sehr kurzer Aufsatz über „Staat und Kirche nach dem Bonner Grundgesetz“, der als erste Abhandlung in der ZevKR 1951 erschien. Seine Grundthese, dass die wörtliche Übernahme des älteren Verfassungstextes in das Grundgesetz ein neues Verständnis des Staatskirchenrechts nicht ausschließe, ist heute Allgemeingut.

A. v. Campenhausen


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Publikationsdatum dieser Seite: 19.01.2024 09:17